Elektro-Auto in der Blutbahn – mit Allradantrieb

Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) freut sich über die Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2016, denn sie war an der Forschungsarbeit einer der drei Laureaten massgeblich beteiligt. Die Materie könnte salopp umschrieben werden als molekulares Elektro-Auto mit Allradantrieb.

«Ich habe mein Mittagessen mitgebracht», sagte der weissbärtige Herr und kramte eine Zimtschnecke, einen Bagel und eine Bretzel zutage. Es kommt in der Tat nicht oft vor, dass ein Mitglied der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften zur feierlichen Verkündung des Physik-Nobelpreises Gebäck in einem Papiersäckli mitbringt. Nachdem der Generalsekretär der Akademie die Namen der Physik-Nobelpreisträger 2016 genannt hatte, erklärte er anhand des Tüteninhaltes das Arbeitsgebiet der drei Preisträger – «die seltsamen Eigenschaften und Phasenübergänge von Materie».

Wie beim Physikpreis musste tags darauf auch wieder Gebäck herhalten, um nobelpreiswürdige Chemieforschung zu erklären. Offensichtlich verlangt ungewöhnliche Forschung ungewöhnliches Anschauungsmaterial. Diesmal ging es um ein Nano-Auto mit molekularem Allradantrieb, an dem auch die Schweiz beteiligt ist. Und das nicht erst seit gestern. Denn bewundern liess sich der «Prototyp» – garantiert emissionsfrei und geräuschlos – auf dem Cover des im November 2011 erschienenen Wissenschaftsmagazins «Nature». Darin ist zu lesen, dass Wissenschaftlern der Universität Groningen und der Empa «ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu künstlichen nanoskaligen Transportsystemen» gelungen sei. Karl-Heinz Ernst, Leiter der Empa Forschungsgruppe «Molecular Surface Science», hat gemeinsam mit dem aktuellen Nobelpreisträger Bernard L. Feringa und dessen Arbeitsgruppe an der Universität Groningen ein Molekül aus vier rotierenden Motoreinheiten – sprich: Räder – synthetisiert, das einigermassen kontrolliert geradeaus über eine Kupferoberfläche fahren kann. Indes besteht noch Optimierungspotenzial bezüglich Reichweite: Das rund 4 x 2 Nanometer kleine Auto – rund eine Milliarde Mal kleiner als ein VW Golf – muss nach jeder halben Radumdrehung erneut mit Strom betankt werden – über die Spitze eines Rastertunnelmikroskops. Ausserdem können sich die Räder aufgrund ihres molekularen Designs nur in eine Richtung drehen: Es gibt keinen Rückwärtsgang.

Und wozu ist das alles gut?

Noch sind die Entwicklungen der Chemie-Nobelpreisträger 2016 Bernard Feringa, Jean-Pierre Sauvage und Fraser Stoddart zwar Teil der Grundlagenforschung. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Beispielsweise könnten die molekularen Maschinen im Körper Medikamente an den Ort bringen, an dem sie benötigt werden.

Irgendwie erinnert das an den amerikanischen Science-Fiction-Film «Die phantastische Reise», der vor genau 60 Jahren in die Kinos kam. Da lässt sich eine Gruppe von Forschern samt U-Boot auf Nano-Grösse verkleinern und in die Blutbahn eines aus dem Ostblock übergelaufenen tschechischen Wissenschaftlers injizieren (siehe Bild links). Das Ziel: In dessen Gehirn eine lebensrettende Operation vorzunehmen …

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