
15. Januar 2020 – Die Bilder waren spektakulär und gingen um die Welt – das Künstlerehepaar Christo verhüllte mit Vorliebe ganze Gebäude. Je komplexer, desto besser. 1995 packte das kreative Duo das markante Reichstagsgebäude in Berlin komplett ein. War das noch ein Ausdruck von Kunst, hat sich das Konzept technologisch längst zu einem ernsthaften ökologischen Angebot entwickelt. Und um das reine Einpacken geht es auch nicht mehr. Sondern um einen klugen Beitrag zum Klimaschutz. Denn das sind Textilfassaden – Ökoflächen, die dank eingebauter Sensorik immer häufiger für immer mehr nachhaltig wirkende Bereiche eingesetzt werden.
Fassade aus Kunststoffflaschen
Textile Fassadengewebe gibt es seit mehr als 30 Jahren. Einen besonderen Fokus auf den Bereich hat Jan Serode von der technischen Universität von Aachen: «Textilfassaden sind Fassaden, die vor der thermischen Gebäudehülle sitzen», sagt er. «Dieses vorgesetzte Fassadensystem ist in Bezug auf Energieeinsparungen sehr interessant.» Die Textilien sind so gearbeitet, dass die Sicht nach Draussen praktisch unbeschränkt ist. Der Blick hinein bleibt jedoch versperrt. Das entstandene Luftpolster – also der Bereich zwischen aufgehängter Textilfassade und dem Gebäude – kann vielfältig genutzt werden. So unscheinbar so ein «Tuch-Haus» aussehen mag, so spektakulär ist die Wirkung. Das beginnt bereits bei der Herstellung. Die Aachener Forscher haben eine Textilfassade entwickelt, die aus 98% recycelten Kunststoffflaschen besteht. So bekommt das Wort «Plastikmüll» eine ganz neue Bedeutung.
Textilfassaden werden in der Lage sein, diverse Funktionen zu erfüllen. So wird derzeit eine sogenannte Anti-Smog-Fassade getestet. «Bei Sonnenbestrahlung bindet die speziell entwickelte Beschichtung Stickoxide an der Fassade», erklärt Jan Serode. In einem anderen Projekt sollen die Textilfassaden sogar Sonnenenergie gewinnen, speichern und dann an «ihr» Gebäude abgeben können.
Textilbeton
Die Tüftler sind aber noch längst nicht am Ende mit ihrem Latein. So haben sie Textilbeton erfunden und propagieren CO2-Einsparungen in Höhe von 70 bis 80 Prozent bei einem herkömmlichen Hausbau. 2016 musste der Aachener Dom saniert werden. Die Verantwortlichen haben sich von Textilbeton überzeugen lassen. So wird das über 1200 Jahre alte Wahrzeichen der westdeutschen Stadt wohl nochmals einige paar hundert weitere Jahre überstehen.
Bildquelle: Bieri Tenta AG